«Denken Sie an was Schönes»: So speist Amazon müde Mitarbeiter ab

Juli Rutsch
Juli Rutsch

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Für Amazon in einem Warenlager zu arbeiten, ist kein Spass. Nun speist das Unternehmen seine gestressten Mitarbeiter auf eine besonders ironische Weise ab.

Mit einem plumpen Satz speist Amazon seine hochgestressten Mitarbeiter ab.
Mit einem plumpen Satz speist Amazon seine hochgestressten Mitarbeiter ab. - Depositphotos

Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten in einem Lagerhaus, wo die Schichten so lang und intensiv sind, dass Ihre körperliche und geistige Gesundheit kurz vor dem Kollaps steht.

Sie werden ausserdem ständig überwacht, um sicherzustellen, dass Ihre Leistung nicht nachlässt. Und Sie haben schon Kollegen dabei beobachtet, in zu Flaschen urinieren, um einen möglichen Zeitverlust beim Gang zur Toilette zu vermeiden.

Was könnte Ihr Arbeitgeber nun tun, um das Arbeitsumfeld für Sie und Ihre Kollegen zu verbessern? Amazon hat eine ganz eigene Lösung parat: den «ZenBooth».

Glück-Beamen ins Hirn

Der «ZenBooth» ist eine kleine Kabine, wie eine dieser alten Instant-Foto-Kästen mit Gardine und kaum Platz, in die sich Mitarbeitende zurückziehen.

Im Inneren ist ein Bildschirm angebracht, der den Ratsuchenden zum Beispiel nahelegt, sie sollten «an etwas nachdenken, das glücklich macht».

Gestresste Mitarbeiter in einem der vielen Lagerhäuser von Amazon.
Gestresste Mitarbeiter in einem der vielen Lagerhäuser von Amazon. - Depositphotos

Doch was soll das? Und was sagt das über die Arbeitsbedingungen bei Amazon aus?

Würfel mit Meditationen und Achtsamkeitsübungen

Die ZenBooth wurde 2021 als Teil von Amazons Wellness- und Meditationsprogramm «Working Well», oder auch ironisch «AmaZen» genannt, eingeführt. Das Programm besteht aus physischen und mentalen Aktivitäten und unterstützt auch auf dem Weg zu gesunder Ernährung.

Im ZenBooth befindet sich ein interaktiver Bildschirm mit verschiedenen Meditationen und Achtsamkeitsübungen. Alle Kabinen sind darüber hinaus mit einem Ventilator, einer Topfpflanze und einer Decke ausgestattet, die wie ein blauer Himmel bemalt ist.

«Bezug zur Realität verloren»

Klingt erstmal gut, doch kann eine solche Kabine tatsächlich dazu beitragen, den Stresslevel in einem hektischen Lagerhaus zu senken?

Nicht alle Mitarbeiter sind von dieser Idee begeistert. Ein Angestellter teilte seine Erfahrungen mit der Presse: «Es fühlte sich ehrlich gesagt wie ein Schlag ins Gesicht an. Es ist die Art von abgehobener Unternehmensfloskel, die offensichtlich völlig den Bezug zur Realität verloren hat.»

Luftaufnahme Warenlager Amazon
In einem riesigen Amazon-Warenlager arbeiten viele gestresste Mitarbeiter unter teilweise unwürdigen Bedingungen. - Depositphotos

Dass Amazon seine gestressten Lagerarbeiter überhaupt auf diese Kabinen angewiesen sieht, wirft Fragen auf. Anstatt Geld für solche Einrichtungen auszugeben, könnte das Unternehmen doch auch einfach bessere Arbeitsbedingungen schaffen: zum Beispiel durch mehr Urlaubszeit, längere Pausen oder eine weniger intensive Arbeitslast.

«Eat the rich»

Eine Mitarbeiterin äusserte ihre Frustration deutlich: «Wir werden als Volk ausgeblutet, und dann bekomme ich bei meinem einfachen Job einen Pop-up mit der Bitte: ‹Augen schliessen und an etwas Schönes denken›? Besten Dank.»

Man müsse dann wohl die Reichen essen – schon Jean-Jaques Rousseau hatte so etwas im 18. Jahrhundert befürchtet.

Anders gesagt: Amazons Bemühungen für das Wohlbefinden seiner Mitarbeiter sind durchaus anerkennenswert. Doch kleine Zen-Kabinen können grundlegende Verbesserungen der Arbeitsbedingungen nicht ersetzen.

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