Das kann die KI bei einer therapeutischen Behandlung leisten
Beim Therapeuten auf der Couch verziehen Sie Ihr Gesicht: Er ist in Gedanken woanders, aber die KI passt auf und denkt mit. Ein Zukunftszenario? Keinesfalls.
Menschliche Gesichtszüge sind ein offenes Buch für Emotionen. Seit den 1970er-Jahren nutzen Psychologen wie Paul Ekmann standardisierte Kodierungssysteme, um grundlegende Gefühle wie Freude oder Traurigkeit in Bild- oder Videoaufnahmen zu identifizieren.
Allerdings nimmt das Analysieren und Interpretieren von aufgezeichneten Gesichtsausdrücken vergleichsweise viel Zeit in Anspruch.
Daher greifen viele Fachleute auf andere Methoden zurück, auch wenn diese als weniger zuverlässig gelten: Sie messen zum Beispiel den Hautwiderstand – ein Indikator für emotionale Erregung.
30'000 Fotos als Studienobjekt
Ein vierköpfiges Forschungsteam um Martin Steppard untersuchte nun, ob die KI verlässliche Ergebnisse einer Geischtsausdrucksinterpretation liefern kann.
Zu diesem Zweck nutzte das Forschungsteam frei verfügbare neuronale Netzwerke zur Identifikation sechs grundlegender Emotionen: Freude, Überraschung, Wut, Ekel, Trauer und Angst, anhand von über 30'000 Gesichtsfotos.
Dieses KI-System analysierte dann Videodaten von Therapiesitzungen mit insgesamt 23 Patienten, die an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden. Die Ergebnisse, veröffentlicht im Journal «Psychopathology», waren verblüffend.
KI zeigt Sensibilität für kaum merkbare Veränderungen
Statistische Vergleiche zwischen der Analyse von drei ausgebildeten Therapeuten und dem KI-System zeigen eine bemerkenswerte Übereinstimmung. Das KI-System bewertete die Gesichtsausdrücke ebenso zuverlässig wie ein Mensch und konnte sogar flüchtige Emotionen im Millisekundenbereich erfassen.
Diese Art von Mikroexpressionen könnten Therapeuten wiederum leicht entgehen oder nur unbewusst wahrgenommen werden. Hier zeigt das KI-System seine Stärken: Flüchtige Emotionen erfasst es im Vergleich zu geschultem Personal mit erhöhter Sensibilität.
Aber auch unerwartete Erkenntnisse kamen zum Vorschein.
Mögliche Einsatzfelder für KI in Therapien
So stellte sich heraus, dass Patienten, die emotional involviert wirkten und am Anfang einer Sitzung lächelten, ihre Psychotherapie seltener abbrachen als Menschen, die emotional distanziert erschienen. Dieses «soziale» Lächeln wird bereits als guter Indikator für den Erfolg der Therapie gehandelt.
Und KI würde sich zu einem wichtigen Werkzeug in Therapie und Forschung entwickeln.
Ihre KI-Systeme könnten beispielsweise bei der Analyse vorhandener Videoaufzeichnungen aus Forschungsstudien eingesetzt werden, um emotional relevante Momente in einem Gespräch einfacher und direkter zu erkennen. Diese Fähigkeit könnte auch die Supervision von Psychotherapeuten unterstützen.